Marc ist 27 und wohnt in Karlsruhe. Seit seiner schwierigen Geburt mit Sauerstoffmangel lebt er mit einer geburtstraumatischen Plexusparese am rechten Arm. Operationen wurden bei ihm nie durchgeführt, aber schon zwei Wochen nach der Geburt wurde angefangen, nach Vojta zu turnen. Im Nachhinein steht für Familie Keller fest: ohne die Hilfe einer sehr erfahrenen Therapeutin, die die Familie unglaublich motivieren konnte, hätten sie diese Herausforderungen wohl nicht so gut gemeistert. „Die Fortschritte waren wöchentlich sichtbar, allerdings mehr für meine Eltern. Ich habe keinerlei Erinnerung, dass ich 3- bis 4-mal täglich auf die Matte musste und immer lauthals protestiert habe.“ erzählt uns Marc.
Ich bin heute unheimlich froh und dankbar für jede Sekunde, die vor allem meine Mama in die Therapie investiert hat. Als Kind ist es so viel leichter, Bewegungen zu erlernen und Nervenstrukturen nachzubilden. Das ist später mit viel harter Arbeit verbunden und dazu auch noch im Ergebnis limitiert.
– Marc Keller
Wie bist Du zum Sport gekommen?
Zwei Jahre nach meiner Geburt begannen Ergotherapie und Krankengymnastik. Mit vier Jahren habe ich angefangen, Handball zu spielen und war bis 16 aktiv dabei. Ich bin geborener Rechtshänder, musste mich aber durch die Einschränkung umgewöhnen und habe dann angefangen, viele Dinge mit links zu machen. Durch diese Ausweichmuster konnte ich immer mittrainieren und oft haben meine Trainer die Einschränkung nicht mal bemerkt. Linkshänder sind im Handball auch zum Glück sehr gefragt. Heute weiß ich jedoch, dass Ausweichmuster so gut es geht vermieden werden sollten. Ich versuche oft, mich selbst auszutricksen und mich so zur Nutzung meines rechten Arms zu zwingen. Das ist nicht immer leicht, und wir haben wahrscheinlich alle die natürliche Neigung, unseren schwächeren Arm weniger zu benutzen.
Wie hast du in deiner Jugend mit der Plexusparese gelebt?
Im Alter von 13 oder 14 habe ich mich immer gewundert, warum ich der Einzige bin, der zur Physiotherapie muss. Ich konnte sportlich gut mit meinen Schulkameraden mithalten, da ich schon als Kind Gefallen an Sport hatte. Glücklicherweise komme ich auch aus einer sportlichen Familie und wir haben uns immer gegenseitig motiviert. Dennoch hatte ich immer eine Einschränkung. Und diese auch jeden Tag gespürt. Oft musste ich erstmal für mich herausfinden, wie ich eine bestimmte Bewegung trotz meiner Plexusparese schaffe. Koordinative Übungen mit beiden Armen waren immer mein Horror, die habe ich nie gemocht, weil ich sie nicht gut hinbekommen habe. Heute weiß ich, wie wichtig sie sind und mein Training ist voll davon. Genau die Bewegungen die schwer sind, die der Arm nicht kann, die lästig und teilweise schmerzhaft sind, die bringen mich weiter. Heute versuche ich meine Schwachstellen zu trainieren und den Fokus darauf zu legen. Übungen zu machen, bei denen ich maximal eingeschränkt bin, um es bald nicht mehr zu sein. Dem Arm neue Bewegungsabläufe beizubringen ist verdammt hart, aber wenn du es geschafft hast, erleichtert es dein Leben nachhaltig.
Wie sieht dein Alltag mit der Plexusparese aus?
Heute behindert mich mein Arm im Alltag kaum. Wenige Menschen bemerken die Einschränkung und das freut mich, macht mich auch ein wenig Stolz. Für mich ist meine Plexusparese trotzdem ständig präsent. Ich sehe täglich den Unterschied meiner Arme und versuche daraus auch die Motivation für mehr Training zu schöpfen. Bewegungseinschränkungen wie das Drehen der Hand oder jegliche Bewegungen hinter meinem Körper, sind weiterhin stark eingeschränkt. Ich versuche, durch kleine Tricks meinen Arm auch im Alltag zu trainieren, Zähne putzen mit rechts, das Handy in die rechte Hosentasche oder andere kleine Gewohnheiten, die ich von links auf rechts umgestellt habe. Nach einem Fahrradunfall war mein linker Arm für drei Wochen eingegipst. In dieser Zeit hatte ich nur meinen rechten Plexus Arm und da habe ich gemerkt, wie stark er sich noch entwickeln kann, obwohl ich schon 23 Jahre alt war. Das hat mich unglaublich motiviert, ihn stetig zu verbessern. Dennoch muss ich mir auch bewusst machen, dass ich ihn wahrscheinlich niemals auf das Level des linken Arm trainieren kann. Obwohl ich seitdem ich 16-17 bin, fünfmal die Woche trainiere, ist die Einschränkung präsent. Erst in den letzten Jahren habe ich gelernt das Training besser auf meinen Plexus Arm auszulegen und erst dann, hatte ich auch bedeutende Fortschritte.
Was bedeutet dir Sport heute?
Ich habe mich immer verschiedenen Herausforderungen und Sportarten gestellt, aber ich hatte nie das Gefühl, richtig gut zu sein. Die fehlende Kraft und Einschränkung in der Beweglichkeit haben sich dann doch immer bemerkbar gemacht. In Fitnessstudios wurde kein individuelles Training angeboten und oft konnten mir TrainerInnen nicht weiterhelfen, weil eine Plexusparese neu für sie war. Daher hatten sie auch kein Lösungskonzept. Das Training habe ich dann selbst in die Hand genommen und nach meinen Ideen gestaltet. In den letzten zwei bis drei Jahren bespreche ich meine Übungen immer öfter mit PhysiotherapeutInnen. Dies hilft mir, dranzubleiben und auch den Input von verschiedenen PhysiotherapeutInnen für mich zu nutzen. Ich will meinen Arm an sein Maximum bringen und schauen, wieviel Beweglichkeit ich mit Training noch erreichen kann. Seit dreieinhalb Jahren habe ich Kitesurfen für mich entdeckt und es ist meine absolute Leidenschaft geworden. Ab einem gewissen Punkt hat mich mein Arm aber stark eingeschränkt. Eins war für mich sofort klar: Aufgeben gibt’s nicht. Mein Training muss verbessert werden und die fehlende Beweglichkeit will ich zurück! Die Motivation, beim Kitesurfen besser zu werden, hat mich in meinem Training für meinen Plexus Arm enorm gepusht. Ohne geht’s nicht und die Einschränkung in dieser Sportart zu akzeptieren, will ich nicht. Ich glaube, ein sportliches Ziel vor Augen zu haben, hilft sehr zu akzeptieren, dass man so viel mehr trainieren muss, um das zu haben, was viele bei ihrer Geburt geschenkt bekommen: zwei gesunde Arme.
Wie reagieren andere Menschen auf deine Plexusparese?
Meine Plexusparese wird oft nicht wahrgenommen. Nach einer gewissen Zeit erzähle ich dann hin und wieder davon und die Menschen in meinem Umfeld reagieren oft sehr positiv. Der Witz als Kind nach Vojta auf dem Tisch gefesselt und gequält worden zu sein, bringt auch oft einen Lacher. Trotzdem ist es schwer, sich nicht immer mit anderen Menschen zu vergleichen, oder sich nicht auch manchmal einen gesunden Arm zu wünschen. Mein Plexus Arm hat mich aber als Person stärker, motivierter und konsequenter gemacht. Dafür bin ich sehr dankbar.
Hast Du eine Botschaft für betroffene Kinder und Erwachsene und ihre Familien?
Ich bin heute unheimlich froh und dankbar für jede Sekunde, die vor allem meine Mama in die Therapie investiert hat. Als Kind ist es so viel leichter, Bewegungen zu erlernen und Nervenstrukturen nachzubilden. Das ist später mit viel harter Arbeit verbunden und dazu auch noch im Ergebnis limitiert. Ermöglicht euren Kindern ein unbeschwertes Leben: ohne Mobbing, großen körperlichen Einschränkungen und einer guten psychischen Gesundheit. Teilweise ist es gar nicht so leicht, gerade als Kind, zu akzeptieren, dass man von Grund auf erstmal in vielen sportlichen Aspekten schlechter ist als alle anderen. Gebt ihnen die Möglichkeit zu zeigen, was in ihnen steckt, fördert und motiviert sie mit aller Kraft. Auch, wenn sich Ergebnisse manchmal nicht direkt am nächsten Tag zeigen, sondern ein bisschen dauern. Kinder sind aktiv und wollen klettern, wollen toben, wollen zeigen, was sie können. Motiviert euch selbst und versucht, mit den Kindern neue Dinge zu erlernen und Sportarten auszuprobieren. Schwimmen, Handball, Klettern oder Turnen: Alles Dinge, in denen wir Plexuskinder erstmal ziemlich eingeschränkt sind, aber die uns bereichern können und unseren Arm trainieren, damit wir uns nicht anders fühlen und im Alter keine Schmerzen haben. Die Physiotherapie und besonders das eigene Training hören in einem Leben eines Plexus Kindes nie auf.